Doppelbelastung Frauen an der Spitze

Frauen an der Spitze: Wie die Frontfrauen von BabyOne und Seidensticker die Corona-Krise und die Doppelbelastung mit Job und Familie meistern

Eines vorweg: Frauen in Chefetagen von deutschen Familienunternehmen sind rar gesät. Erst vor wenigen Tagen schreckte die aktuelle Studie der Allbright-Stiftung auf, die dieses schon lange gehegte „Gefühl“ leider bestätigte: Gerade einmal sieben Prozent der Geschäftsführungen in deutschen Familienunternehmen sind in Frauenhand. Wir haben mit zwei Pionierinnen aus diesem Bereich Dr. Anna Weber, Geschäftsführerin des Familienunternehmens BabyOne und Dr. Silvia Bentzinger, Geschäftsführerin der Seidensticker Group gesprochen. Sie geben Einblick in ihre Arbeit an der Spitze eines Familienunternehmens, teilen ihre Erfahrungen in der Corona-Krise und berichten, wie sie diese trotz Doppelbelastung als CEO und Mutter von zwei Kindern gemanagt haben.

Stellt euch das mal vor: In der Führung der 100 größten Familienunternehmen in Deutschland gibt es mehr „Thomasse“ und „Michaels“ als Frauen insgesamt! Von 436 Führungspositionen sind nur 30 weiblich besetzt, was einen Frauenanteil von mageren sieben Prozent ausmacht. Bei den 30 Dax-Unternehmen sind es immerhin 15 Prozent… Nur 29 der 100 größten Familienunternehmen Deutschlands haben überhaupt eine Frau in der Geschäftsführung… Das ist das ernüchternde Ergebnis der vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie der Allbright-Stiftung*. Dabei ist es in vielen Studien längst bewiesen, dass mehr Diversität in Unternehmen kein „nice-to-have“ mehr ist, sondern klare wirtschaftliche Vorteile bringt. Anna Weber und Silvia Bentzinger stehen an der Spitze eines deutschen Familienunternehmens und sind damit Pionierinnen, von denen wir in Zukunft hoffentlich noch mehr sehen werden.

Dr. Anna Weber, CEO der BabyOne GmbH
Dr. Anna Weber hat die Geschäftsführung von BabyOne von ihren Eltern übernommen
BabyOne: Teamarbeit in der engsten Familie

Anna Weber ist jung, dynamisch und der Prototyp einer Unternehmerin, die Zukunft aktiv gestalten möchte. Die BWLerin hat zwei kleine Kinder und ist vor drei Jahren ins elterlichen Unternehmen BabyOne eingestiegen, ein Franchise-Unternehmen mit 104 stationären Fachmärkten und einer starken Multichannel-Strategie. Gemeinsam mit ihrem Bruder Jan Weischer hat sie inzwischen die Geschäftsführung übernommen, Ende des Jahres werden die Eltern das operative Geschäft ganz verlassen. Die Corona-Krise war für BabyOne eine schwere Zeit, da das Unternehmen 90 Prozent seines Umsatzes über die stationären Geschäfte erwirtschaftet. Sie berichtet: „Viereinhalb Wochen Lockdown waren eine ausgemachte Katastrophe für uns und unsere Liquiditätsplanungen wurden sehr belastet.“ In der Krise, wo wichtige Entscheidungen ad hoc getroffen werden mussten, wurden Managementfähigkeiten auf eine harte Probe gestellt, Improvisation stand auf der Tagesordnung. „Mein Bruder, meine Eltern und ich waren quasi rund um die Uhr im Office“, erinnert sich Anna Weber und ergänzt: „Die Krise war auch emotional herausfordernd. Als am 16. März unser komplettes Team mit ihrem Rechner unter dem Arm unsere Zentrale in Richtung Homeoffice verlassen hat, sah das schon sehr nach Endzeitstimmung aus.“

Dr. Silvia Bentzinger, CEO Seidensticker Group
Dr. Silvia Bentzinger, ist seit Januar 2020 CEO der Seidensticker Group
Jede Menge Überstunden im Führungsteam bei Seidensticker

Silvia Bentzinger Karriere bei Seidensticker verlief sehr stringent. Sie ist kein Mitglied der Inhaber-Familie sondern kam vor ca. 11 Jahren als Externe zum Unternehmen. Seit dieser Zeit und aufgrund der guten Zusammenarbeit mit Team und Vorgesetzten wurden ihre Verantwortungsbereiche kontinuierlich erweitert. Seit Januar 2020 ist die ursprüngliche Rechtswissenschaftlerin CEO der Marke Seidensticker – und musste sich dann gleich in einer extremen Ausnahmesituation beweisen: „Auch ich muss sagen, dass ich noch nie so viel gearbeitet habe wie in der Corona-Zeit“, resümiert Silvia Bentzinger. Während in der Presse von Entschleunigung gesprochen wurde, sah der Tag im Krisenmodus bei ihr gänzlich anders aus. Es war eine harte Zeit für Seidensticker, 36 Filialen waren geschlossen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit. Auch die Wholesalepartner hatten geschlossen, der Markenumsatz brach zu 80 Prozent weg. „Zum Glück konnten wir 20 Prozent unserer Umsätze online generieren, aber der Bedarf an Hemden und Blusen in Zeiten des Homeoffice war natürlich deutlich geringer als normalerweise“.

Doppelbelastung: Ohne Hilfe und viel Organisation wäre es nicht gegangen

Gleichzeitig für Job und Familie da zu sein, war für beide sehr schwierig: „Mein Mann musste wie ich sehr viel arbeiten, doch wir haben zwei Schulkinder, die zuhause betreut werden mussten“, erklärt Silvia Bentzinger. „Es war und ist mein großes Glück, dass sich meine Eltern in der Krise um die Kinder kümmern konnten. Sie sind für die Wochen des Homeschoolings bei uns eingezogen, zusätzlich hatten wir zwei bis drei ältere Schüler an der Hand, die beim digitalen Unterricht helfen konnten“. Anna Weber konnte sich auf ihren Mann verlassen, der sich wegen der geschlossenen Kitas um den gemeinsamen Nachwuchs kümmerte: „Für ihn war es klar, dass meine Präsenz im Office existenziell war, und da hat er die Kinderbetreuung zuhause alleine übernommen“. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Betreuungsproblemen wurden und werden bei beiden Firmen problemlos für das Homeoffice freigestellt. „Dafür haben wir großes Verständnis und glücklicherweise war unsere IT-Infrastruktur damals sehr schnell homeoffice-fähig“, erklärt Silvia Bentzinger. Auch heute noch kann jeder, der lieber von zuhause arbeiten möchte, dies tun. „Jeder Prozess muss heute bei uns auch digital funktionieren – oder hybrid mit einem Teil des Teams im Office und einem zuhause“, bestätigt Anna Weber.

Positive Seiten von der Krise

Dennoch gehen beide Frauen auch mit positiven Erfahrungen aus dem Lockdown: „Der Zusammenhalt im Team war enorm“, erklärt Anna Weber im Rückblick. „Wir haben diese Wochen genutzt, um unsere Multi-Channelstrategie weiter zu forcieren und stellten in wenigen Tagen Dinge auf die Beine, für die wir normalerweise wahrscheinlich Monate gebraucht hätten“. Auch die enge Zusammenarbeit mit unseren Franchisepartnern hat geholfen, die Krise gut zu überstehen: „Ich bin froh, dass wir kein Einzelplayer sind, der Verbund mit unseren Franchisenehmern ist uns sehr wichtig“, sagt Anna Weber. Silvia Bentzinger machte ähnliche Erfahrungen: „Diese Zeit hatte sehr viel Dynamik und es war schön zu sehen, wie eng wir im gesamten Team zusammengestanden sind. Es ist auch so viel Gutes daraus entstanden!“ So schaffte es Seidensticker z.B. binnen weniger Tage, die gesamte Produktion komplett auf Mund-Nasen-Schutzmasken umzustellen. Auch Digitalisierungsprojekte wurden angegangen: „Wir haben im Lockdown den kompletten Wholesale-Prozess digitalisiert und sind damit sehr viel flexibler für die Zukunft. Wir können Kollektionen virtuell zeigen und den Verkaufs- und Übergabeprozess digital und standortunabhängig abbilden. Das war ein großer Schritt für uns und wir sind alle total begeistert.“ Reiseaufwände können nun gespart und Nachhaltigkeitsziele leichter erreicht werden.

Optimismus überwiegt

Insgesamt sind sowohl Anna Weber als auch Silvia Bentzinger optimistisch, was die Zukunft und den weiteren Krisenverlauf angeht: „Wir planen mit 20 Prozent weniger Umsatz in diesem Jahr. Die Frequenz auf der Fläche ist immer noch niedrig – auch wenn die Conversion am Ende gut ist.“  Seidensticker will das B2C-Geschäft weiter pushen und mit Direct-to-Consumer, Wholesale und Produktion für andere Marken weiterhin auf Diversifikation der Geschäftsmodelle setzen. Bei BabyOne sei jetzt, wo die Märkte wieder offen haben,  der Umsatz wieder auf Vorjahresniveau - trotz Corona, erklärt Anna Weber. Schließlich bestehe im Segment Erstausstattung für Babys ein echter Bedarf bei den Konsumenten, den man auch schlecht verschieben könne. Trotzdem sei auch hier die Frequenz zurückgegangen. „Leute, die einfach ein bisschen bummeln möchten, sehen wir aktuell nicht im Laden. Stattdessen kommen unsere Kunden sehr gezielt und wissen genau, was sie wollen“, erläutert Anna Weber. Positiv sei, dass Online sich dank Corona nun als eigener Vertriebskanal fest etabliert hat. Jetzt gilt es, die hohe Beratungskompetenz im Laden auch digital abbilden zu können. Im Lockdown wurden bereits erste Test mit einer digitalen Terminvereinbarung für Beratungsgespräche, Life-Chats, Instagram Shopping und Facetime-Beratung gefahren. Anna Weber bringt es auf den Punkt: „Ohne die Krise wären wir sicher noch nicht soweit – und unsere Kunden bestimmt auch nicht!“

Der Talk fand im Rahmen der Initiative „Händler helfen Händlern“ statt. Das komplette Gespräch kann online unter: https://neovaude.live/haendlerhelfenhaendlern/ angesehen werden

* Die Allbright-Stiftung wurde 2011 vom schwedischen Unternehmer Sven Hagströmer in Stockholm gegründet und ist seit 2016 auch in Deutschland aktiv. Sie setzt sich für mehr Diversität (und damit mehr Frauen) in Führungspositionen ein und gibt regelmäßig Studien heraus um die Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren.

Weiterführende Links:

Allbright Studie: www.allbright-stiftung.de

Seidensticker Corporate: https://corporate.seidensticker.com

BabyOne: www.babyone.de

Händler helfen Händler: www.haendler-helfen-haendlern.com

 

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nachhaltiger Konsum mit Miet-Commerce

Weniger Zeug durch Miet-Commerce – eine Chance für nachhaltigeren Konsum

Mit dem Wunsch nach nachhaltigeren Konsummodellen hat sich auch das Motto „Nutzen statt Besitzen“ immer mehr verbreitet. Allerdings fliegt das Thema bei den meisten noch immer unter dem Radar. Obwohl große Marken wie Tchibo, Otto oder Vaude Mietmodelle für Teile ihres Sortiments anbieten, sind die Angebote wenig bekannt. Dabei belastet viele Menschen diese Anhäufung von Besitz immer mehr und „Mieten statt Kaufen“ könnte eine gute Lösung sein. Ich stelle euch heute einige interessante Modelle im Miet-Commerce und ihre Protagonisten vor. Ich war überrascht, wie viele Möglichkeiten der Miet-Commerce heute schon bietet.

Mieten als Geschäftsmodell im Handel ist eigentlich ein alter Hut. Waren es zu Beginn vor allem die Leih-Ski im Winterurlaub oder die Baumärkte, die mit dem Verleih von Maschinen oder Handwerkszeug auf sich aufmerksam machten, treten immer mehr Branchen ins Rampenlicht, die man für Miet-Commerce-Modelle zunächst nicht wirklich auf dem Schirm hatte. Gepusht wurde dieser Ansatz besonders durch den Wunsch nach nachhaltigeren Konsummodellen. Schließlich werden Produkte oft nur selten genutzt und sie dann mit einem anderen Nutzer zu teilen, leuchtet wirklich ein. Unter dem Motto „Nutzen statt Besitzen“ entwickeln sich inzwischen viele Initiativen und zahlreiche Start-ups sprießen aus dem Boden. Auch einige etablierte Hersteller und Händler haben bereits eigene Miet-Commerce-Modelle.

Unown: Bekleidung mieten als Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit im Fashionkonsum

Das Hamburger Start-up Unown machte erstmals im Herbst 2019 mit einem Miet-Modell für nachhaltige Mode auf sich aufmerksam. Das Ziel: Ein profitables Geschäft entwickeln und gleichzeitig Teil der Lösung für drängende gesellschaftliche und ökologische Probleme sein. Laut Greenpeace werden 40 Prozent in unserem Kleiderschrank selten oder nie getragen. Dem gegenüber stehen rund 60 neue Teile, die eine Frau durchschnittlich im Jahr neu anschafft – um den Kleiderschrank weiter vollzustopfen. Das Tragische daran: Der Besitz belastet immer mehr Konsumenten und Lösungsansätze sind dementsprechend hochwillkommen. Schon 2018 gaben 20 Prozent der Deutschen an, Bekleidung auch mieten zu wollen. Heute dürfte die Bereitschaft dazu eher gestiegen sein – passend zum Trend des Re-Commerce, also dem Handel von Second Hand Ware, der im letzten Jahr einen gewaltigen Zuwachs hinlegen konnte. Rund 200 Teile von über 20 Marken gibt es aktuell im Unown-Shop, die entweder einzeln geleast oder als Abo-Modell in verschiedenen Umfängen, z.B. drei Teile im Monat zum Preis von 69,- Euro temporär erstanden werden können. Die typische Kundin ist 25-45 Jahre alt, lebt eher in urbanen Gebieten und gibt durchschnittlich 150-200 Euro für Kleidung im Monat aus. 20 Prozent der Kleidung wird laut Co-Gründerin und Co-CEO Tina Spiessmacher von den Kundinnen am Ende gekauft. Sie bestätigt: „Befragungen unserer Kundinnen ergaben, dass sie durch unser Leasing-Modell tatsächlich weniger neue Teile kaufen.“ Bei Unown wechselt ein Teil durchschnittlich sechs- bis achtmal die Besitzerin bis es aus dem Loop herausgenommen wird – entweder weil es gekauft oder z.B. an den Hersteller retourniert wird. Besonders gut funktioniert bei Unown Mode, die Statement-Charakter hat aber auch im Business-Umfeld tragbar ist. Probleme mit beschädigter Ware gab es bislang übrigens kaum. Die Kleider sind versichert, die Reinigung ist kostenlos:

„Hier hatten wir zu Beginn ein bisschen Sorge, doch tatsächlich behandeln unsere Kundinnen die Ware sehr sorgsam. Um für die nächste Wachstumsphase gut aufgestellt zu sein, arbeiten wir gerade intensiv an der Ausweitung des Sortiments und daran, unser digitales Produkt-Tracking weiter zu verbessern,“ erklärt Tina Spiessmacher.

Unown-Fashion
Shop von Unown-Fashion
Von der internen Mitarbeiter-Ausleihe zum professionellen Miet-System

Der Outdoor-Spezialist Vaude startete sein Miet-System „IRentit“ by Vaude im Jahr 2016 und hat dort Zelte, Isoliermatten, Rucksäcke und Fahrradtaschen im Sortiment. „Unser Verleih-Modell wurde durch unseren firmeninternen Ausleihpool inspiriert, über den sich unsere Mitarbeiter schon seit vielen Jahren für private Zwecke Ausrüstung ausleihen konnten“, erklärt Benedikt Tröster, Pressechef bei Vaude. Um Erfahrungen zu sammeln, gab es das Mietsystem zunächst nur in den stationären Stores des Herstellers, seit 2017 ist auch der Online-Verleih möglich. Der Service wird von Kunden inzwischen gut angenommen. Allerdings verzichtet Vaude nach eigenen Angaben derzeit auf eine starke Bewerbung von IRentit, um die internen Kapazitäten nicht zu überlasten. Die größte Herausforderung bei dem Modell besteht laut Benedikt Tröster im Handling. Neben der Logistik sind vor allem die manuelle Wartung und ggf. Reinigung der Produkte sehr zeitaufwendig. Daneben erfordert das System eine IT-Lösung, bzw. Abbildung in einem ERP-System, was für Unternehmen unter Umständen hohe Anfangsinvestitionen erfordert, aber auch eine spätere Skalierung ermöglicht. „Bislang werden Zelte am meisten nachgefragt“, erklärt Benedikt Tröster und ergänzt, „vermutlich, weil dies sehr hochpreisige Ausrüstungsgegenstände sind, die in der Regel nur selten im Jahr genutzt werden.“  Aber auch wasserdicht verschweißte Radtaschen werden nachgefragt, natürlich mit einem saisonalen Peak zu Ferienzeiten.

iRentit by Vaude
iRentit by Vaude
Möbel zum Mieten? Ikea will in der Schweiz starten

Der schwedische Möbelriese Ikea beispielsweise verkündete bereits im September 2018, künftig Mietmöbel anzubieten. Auftaktmarkt für die neue Leih-Welt soll zunächst die Schweiz sein und das Büro-Sortiment umfassen. Losgehen sollte es eigentlich noch im Juni dieses Jahres, ob dieser Termin aber gehalten werden kann, ist angesichts der Corona-Krise ungewiss. Ikea Österreich Chef Alpaslan Deliloglu verkündete noch Anfang Februar, dass spätestens Ende 2021 auch in Österreich Möbel zum Mieten angeboten werden sollen. Der Grund: Das Möbelhaus will nachhaltiger werden. Beim Berliner Start-up Lyght Living rund um die Gründerinnen Laura Seiler und Nadine Deuring kann man bereits seit April letzten Jahres Möbel mieten. Ihr Konzept „Furniture as a service“ richtet sich in erster Linie an Menschen, die öfter umziehen. Rund 200 Produkte von über 50 Marken aus den Bereichen Wohnen, Essen, Schlafen, Arbeiten, Lampen & Dekoration sowie Outdoor bietet der Shop aktuell zur Miete an.

Erst Kinderkleidung dann Sportgeräte – Tchibo Share will weiter wachsen

Bereits viel Erfahrung gesammelt hat das Miet-Business von Tchibo. Schon 2017 startete Tchibo als erstes großes Handelsunternehmen das Pilotprojekt ‚Tchibo Share‘ in Kooperation mit dem Magdeburger Unternehmen kilenda. Tchibo Share bietet nachhaltig produzierte Baby-, Kinder- und Damen-Kleidung zur Miete an und das Modell scheint zu funktionieren. Laut Unternehmen haben sich sowohl Warenkorbgröße und Conversion Rate zufriedenstellend entwickelt, so dass das Modell weiter ausgebaut werden soll. Inzwischen können Tchibo Share Kunden neben Bekleidung auch Sportgeräte und Möbel mieten. Bei Sportgeräten wird vor allem das Argument des Ausprobierens ins Feld geführt um Kunden zum „Kauf“ zu locken. Ist man also unsicher, ob der Tchibo Schlingentrainer für einen Kaufpreis von 29,90 Euro gefällt, kann man ihn für 4,99 Euro monatlich zunächst mieten und bei Erreichen des Kaufpreises einfach behalten – oder eben nach einem Monat zurücksenden. Tchibo Kreislauf-Expertin Sarah Herms in einem Gespräch mit fashionunited:

„Um Tchibo Share langfristig und damit nachhaltig zu betreiben, braucht es ein breites Kunden-Fundament. Je mehr wir unser Angebot verbreitern, desto mehr leihen sich unsere Kunden aus“.

Tchibo Share
Sportequipment bei Tchibo Share
Von Multimedia über Haushaltselektronik bis hin zu E-Scootern: Otto Now expandiert

Vor gut drei Jahren ist mit Otto Now auch der Versandhandelsriese Otto ins Miet-Business eingestiegen. War das Sortiment bei Otto Now zunächst auf einzelne Bereiche wie Multimedia, Haushaltselektronik und Sport beschränkt, umfasst der Kategoriebaum inzwischen auch Möbel und E-Mobility Produkte wie E-Scooter oder E-Bikes. Ganze Büroausstattungen lassen sich heute über Otto Now mieten – gerade in Zeiten von Corona-bedingtem kollektivem Home-Office und Home-Schooling eine interessante Alternative zum Kauf. Ein Apple Notebook Pro kostet hier bei drei Monaten Mietdauer 177,90 Euro pro Monat, ein 27‘‘ Full HD Monitor von HP ist schon ab monatlichen 19,90 Euro bei sechs Monaten Mietdauer erhältlich. Anstatt das Modell lange theoretisch zu konzipieren, hat es Otto Now früh als Testlauf in die Praxis gebracht, um das unmittelbare Feedback der Kunden einholen zu können. Dieser Vorgehensweise werde das Start-Up auch in Zukunft treu bleiben, bestätigt David Rahnaward, Mitbegründer von Otto Now: „Wir sind wie Forscher auf nahezu unkartographiertem Terrain. Der nächste Schritt ist für uns jetzt, dass wir mit unserem Angebot – von der Miete über die kostenlosen Services wie Lieferung, Anschluss oder Reparatur bis hin zur Abholung des Produktes – einen immer größeren Nutzerkreis von uns überzeugen.“

Otto Now
Miet-Commerce bei Otto Now
Dem Mutigen gehört die Welt – das sieht man auch in der Krise

Ob die hier dargestellten Miet- oder Leasing-Modelle tatsächlich unseren CO2-Fußabdruck auf der Welt reduzieren, will ich nicht beurteilen. Leider fehlt bei den Anbietern eine klare „Beweisführung“, inwieweit ihr Modell tatsächlich unsere Umwelt entlastet. Bei nachhaltig produzierten Produkten von wie bei unown oder Vaude ist die Glaubwürdigkeit daher höher als etwa bei konventionell produzierten Sportgeräten von Tchibo. Doch eines ist sicher: Es ist Zeit, unseren Konsum zu überdenken und verantwortungsbewusster mit Ressourcen umzugehen! Ein Trend, der nach Corona sicher fortgesetzt werden wird. Und in der Krise wird besonders deutlich: Unternehmen, die trotz widriger Umstände nicht den Kopf in den Sand stecken und bereit sind, neue Ideen auszuprobieren und mit großer Begeisterung einfach weitermachen und lernen, werden die Gewinner der Krise sein. Jetzt ist Zeit, sich über neue Business-Modelle Gedanken zu machen und mutig zu sein – dann kann man sich auch in der Krise weiterentwickeln und Positives herausziehen.

Weiterführende Links

www.unown-fashion.com

www.vaude.com

www.tchibo-share.de

www.ottonow.de

 

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Ladentür zu

Corona-Krise – Wertverlust unverkaufter Saisonware ruinös

Corona-Krise: Durch die Schließung zehntausender Mode-Boutiquen und Sportfachgeschäften stapeln sich im stationären Handel immer größere Berge unverkaufter Ware. Sollte die Schließung über den April hinaus fortbestehen, rechnet der Handelsverband Textil nicht nur mit tausenden Insolvenzen, sondern auch mit über einer Milliarde unverkaufter Artikel. Im Digital-Talk der Initiative „Händler helfen Händlern“ sprechen Alexander Gedat, Interims-CEO bei Gerry Weber und Carsten Schmitz, CDO bei Intersport über die aktuelle Lage und mögliche Auswege aus der Krise.

Nach Berechnungen der Handelsverbände Textil (BTE), Schuhe (BDSE) und Lederwaren (BLE) werden an normalen Verkaufstagen in Deutschland im Durchschnitt täglich mehr als 10 Millionen Hosen, Shirts, Schuhe und Taschen verkauft, die nun nicht über die Ladentheke gehen. Ende März dürfte nach Schätzungen der Verbände die Summe der unverkauften, aber vom Handel bereits bezahlten Teile die 100-Millionen-Grenze überschritten haben.

Rolf Pangels, Hauptgeschäftsführer Handelsverband Textil

Verschärft werde das Problem, weil die Geschäfte in den nächsten Wochen vertragsgemäß weiterhin neue Ware geliefert bekämen - trotz geschlossener Läden. „Je länger die Schließung dauert, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die Ware noch verkauft werden kann“, warnte Rolf Pangels, Hauptgeschäftsführer des BTE Handelsverband Textil gegenüber der dpa. Denn durch den modischen Wechsel ließen sich Hosen oder Schuhe aus der Frühjahrskollektion im Sommer kaum noch verkaufen. Allein der Wertverlust der Ware sei für viele Händler ruinös. Die Händler bräuchten deshalb neben schnellen Krediten auch finanzielle Soforthilfen: „Der Staat könnte zum Beispiel die Kosten für die bereits bezahlte Ware über einen Hilfsfonds übernehmen“, schlug Pangels vor.

Davon betroffen ist auch der Sportfachhandel. Die Genossenschaft Intersport, die in Deutschland mehr als 1500 Händler in der Verbundgruppe hat, kann das nur bestätigen: „Unsere selbständigen Kaufleute haben beschränkte Liquidität und die Sorgen sind sehr groß“, so Carsten Schmitz, CDO von Intersport. „Daher ist es gerade in dieser Situation extrem wichtig, dass wir unsere Händler engmaschig betreuen und gemeinsam in die Liquiditätsplanung gehen.“

Intersport musste in diesem Jahr schon ein extrem schlechtes Wintergeschäft hinnehmen. Durch den Shutdown bleiben die Händler jetzt auch noch auf der Frühjahrsware sitzen. „Running Artikel sind die einzigen, bei denen man die Saison vielleicht noch auf die Zeit nach dem Lockdown verlängern kann. Wir befürchten bzw. können jetzt schon durch Mid Season Sales beobachten, dass sich die größeren Onliner davon frei machen und die stationären in eine ausweglose Situation laufen.“

Priorität Eins in der Corona-Krise: Liquiditätssicherung

Seit etwa zwei Jahren bietet Intersport seinen stationären Händlern ein Ship-From-Store Modell an, der über die

Carsten Schmitz: Seit 2016 Chief Digital Officer bei Intersport

Plattform erzielte Umsatz fließt direkt dem Händler zu, der die Ware verschickt. Aktuell sind 400 Händler angeschlossen, das Onboarding-Team arbeitet gerade auf Hochtouren, allein in den letzten zwei Wochen wurden 40 neue Händler aufgenommen. „Wir tun alles dafür, um mehr Liquidität in den Handel zu spülen“, so Carsten Schmitz.

Auch die Situation in der Textilbranche ist desaströs. Der westfälische Modekonzern Gerry Weber steht nach der gerade überstandenen Insolvenz vor großen Herausforderungen. Über 300 eigene Läden und nochmal so viele Franchise-Partner sind geschlossen. „Wir gehen davon aus, dass wir 30 Prozent weniger Jahresumsatz machen als budgetiert. Das ist ein Einschnitt, der ist nicht einfach zu verkraften“, so Alexander Gedat, Aufsichtsratsvorsitzender bei Gerry Weber.

Das größte Problem sieht Gedat vor allem in der Ware in der Pipeline, zumal da es sich in der Modebranche um saisonale Artikel handelt. „Der Liquiditätsbedarf ist enorm. Wir versuchen, dass die Frühjahrs- und Sommerware später ausgeliefert wird, um die Saison zu verlängern und georderte Ware in Asien zu stornieren.“  Den Franchisenehmern wird derzeit im Warenmanagement geholfen und unterstützt, wo es geht. „Das kostet uns was, aber wir müssen helfen und partnerschaftlich mit der Situation umgehen.“

Klar ist, dass die Händler ein Finanzierungsvolumen für die Ware benötigt, die die Unternehmen jetzt auf Lager haben und nicht abverkaufen können. „Das aktuelle Schutzschirmverfahren von Galeria Karstadt-Kaufhof macht doch sehr deutlich, wie wenig nachhaltig der Handel generell finanziert ist“, so Interims-CEO Alexander Gedat. „Für staatliche Soforthilfen und Kreditprogramme muss die Politik unser Geschäft verstehen und da habe ich aktuell nicht den Eindruck, dass dem so ist.“

Intersport kämpft für seine Händlerschaft an verschiedenen Fronten, um Liquidität zu sichern. „Es ist absolut notwendig, dass wir als Verbundgruppe mit den Herstellern über Valutierung, Storno und das Verschieben von Auslieferungsterminen sprechen“, so Schmitz. Aber man müsse sowohl bei den 650 Brands und sieben Eigenmarken genau prüfen, wie die wirtschaftliche Situation der einzelnen Partnerunternehmen aussehe.

Im Hintergrund laufen auch zusätzlich Gespräche aller Genossenschaften, die über im Mittelstandsverbund organisiert sind, um Forderungen an die Regierung für die Liquiditätssicherung im Einzelhandel zu formulieren. Schmitz nennt ein Beispiel: Ein Intersporthändler mit fünf Geschäften habe ihm erzählt, dass er sich sehr über die bewilligten staatlichen Fördergelder freue. Gleichzeitig sage er, und das solle auch nicht herablassend klingen, die Gelder helfen ihm gerade genau vier Tage.

Nach dem Lockdown: Konsum ankurbeln

Gerry Weber Chef Alexander Gedat sieht auch nach der Wiedereröffnung der Läden, die für den 19. April in Aussicht gestellt ist, kein Licht

Alexander Gedat: Seit fünf Monaten Aufsichtsratsvorsitzender und Interims-CEO bei Gerry Weber

im Tunnel. Fakt ist, dass durch die Krise die Verbraucher keine Lust am Konsum haben. Das sei gerade im Textihandel deutlich zu sehen, da auch die großen Onliner wie Zalando und Amazon große Umsatzeinbrüche verzeichnen. „Wofür wir alles tun müssen, ist nach dem Lockdown wieder für Attraktivität der Einkaufsstätten zu sorgen. Die Verunsicherung bei den Menschen ist riesengroß, wir müssen erst mal wieder Vertrauen bei den Kunden aufbauen.“

Schmitz sieht hier digitale Tool als Mittel zum Zweck. „Wir haben allen unseren Händlern nochmal klar gemacht, ja, eure Tür da vorne ist zu, aber ihr seid nicht tot. Nutzt den persönlichen Kontakt zu euren Kunden über digitale Tools.“ Zum Beispiel wurde auf die Schnelle kontaktlose Lieferung möglich und ein Terminbuchungstool für telefonische Beratung ist gerade live gegangen. Intersport arbeitet mit Hochdruck an einer schnellen Umsetzung weiterer Tools, mit dem die Verbundgruppe Content für Social Media bespielen können, um beim Kunden vor Ort präsent zu sein, auch wenn die Ladentür zu ist.

Wer wird diese Krise überleben?

Alexander Gedat ist davon überzeugt, dass es die Firmen sind, die den Nerv des Endverbrauchers treffen und schnell ihr Geschäftsmodell anpassen können: „Die unprofilierte Mitte ist das Schlimmste, was man tun kann. Ein lokaler Händler kennt seine Kunden so gut und kuratiert die Ware entsprechend, das kann eine vertikalisierte Marke oder eine Online-Shop niemals leisten.“

Der Händler muss diesen Mehrwert ausspielen: Die Beziehung zum Kunden. Sich um seine Existenzsicherung zu kümmern reicht nicht aus. „Wenn die Läden wieder öffnen, wird der Wettbewerb nicht leichter, der Preiskampf wird ruinös sein“, prognostiziert Carsten Schmitz. „Man muss in einzelnen Warengruppen gut sein und eine lokale Community darum aufbauen, um vor Ort relevant zu bleiben.“  Das ist der Mehrwert des Händlers, den er gegenüber den großen Onlinern wie Zalando und Amazon sowie den großen Herstellern ausspielen kann. Händler, die das antizipieren und sich zunutze machen, werden gestärkt aus der Situation hervorgehen.

Weiterführende Links

Der Digital-Talk „Händler helfen Händlern“ in voller Länge

Forderungsliste des Handels für finanzielle Soforthilfen an die Politik

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Mann arbeitet im Homeoffice

Plötzlich Home-Office:
Was wir jetzt von Remote-Only Unternehmen lernen können

Allein gelassen im Home-Office? Viele Berufstätige sind durch die Corona-Krise nicht nur häuslich isoliert. Eine Pandemie, die die Gesellschaft und das Arbeitsleben massiv verändert. Meine Hypothese: Je länger die Corona-Krise dauert, desto mehr werden strukturelle Veränderungen in der Arbeitswelt eintreten. Man wird das Rad nicht einfach mehr zurückdrehen können. Es wird aber nur gelingen, wenn auch mit digitalen Technologien die soziale Vernetzung aufrecht erhalten bleibt. Das können wir jetzt von Remote-only Unternehmen lernen.

Die Corona-Pandemie lässt unsere Gesellschaft, die völlig auf Konsum ausgerichtet ist, gerade von 100 auf Null herunterfahren. Das Arbeitsleben verlagert sich in die eigenen vier Wände. Wo es möglich ist, schicken Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Home-Office, um Infektionsketten zu unterbrechen. Jetzt, in der Krise, in dem das Gebot vorherrscht, sich in Selbstisolation zu begeben, wird plötzlich Home-Office zu einem Muss, um unternehmerisch das Nötigste am Laufen zu halten. Für viele Unternehmen ist das nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch ein soziale.

Berufstätige arbeiten im Krisenmodus und hohem Stresslevel zuhause

Die Berufstätigen, die nun ins Home-Office verbannt sind, sind nicht vorbereitet, das Umfeld ist nicht darauf ausgerichtet, auch die Räumlichkeiten nicht, von arbeitsrechtlichen Vorgaben seitens der Berufsgenossenschaft mal ganz abgesehen. Soziale Nöte werden in Kürze ans Tageslicht rücken.

Es sind zwei Personengruppen, die besonders betroffen sind: Zum einen die Mitarbeiter, die nun allein zuhause sind und arbeiten sollen. Sie sind isoliert, von der Außenwelt abgeschnitten. Sie müssen sich ab sofort selbst organisieren, was vorher der Büroalltag und die Strukturen des Unternehmens vorgegeben haben. Die zweite Gruppe sind die Familien mit ihren Kindern, die plötzlich Home-Office und Home-Schooling oder Kleinkind-Betreuung gleichzeitig unter einen Hut bekommen müssen. Es gibt keine Tagesabläufe, keine Strukturen, der Stresslevel steigt bei allen Beteiligten.

Ist sozialisiertes Arbeiten in den eigenen vier Wänden möglich?

Dies sind keine idealen Bedingungen für Unternehmen, um eine Krise zu bewältigen. Gerade in Krisenzeiten brauchen Unternehmen kreative Mitarbeiter und Leute, die vorwärts denken. Nichts ist mehr so wie es war. Viele stellt die Krise vor existenzielle Fragen: Wie kann mein Businessmodell in Zukunft aussehen? Das geht nur mit Teams, die ein positives Mindset haben. Isoliert im Home-Office ist das nur schwer möglich.

In diesem Kontext ist der soziale Austausch ein wichtiger Baustein. Unternehmen, die in der Krise auf remote umstellen, müssen sich in der Kürze der Zeit folgende Fragen stellen: Wie organisiert man sich? Wie werden Aufgaben delegiert, wie organisiert man die Teams? Welche Rolle übernehmen Führungskräfte? Wie motiviere ich die Mitarbeiter, wie kann ich dafür sorgen, dass sie sich nicht im Stich gelassen fühlen? Wie bekommen wir die Menschen, die im Büroalltag ihre sozialen Kontaktpunkte hatten, mit der digitalen Vernetzung sozialisiert?

Voraussetzung dafür ist es, von dem Mitarbeiterbild der „Human Ressource“, von dem Unternehmenskulturen und Personalmanager jahrzehntelang geprägt waren, abzurücken und auf den menschlichen, sozialen Charakter zu fokussieren.

Lernen von Remote-Only-Unternehmen

Nina Jonker-Völker, Head of Marketing beim Start-Up Frontastic arbeitet schon seit Jahren im remote-only Modus.

Es gibt einige wenige Unternehmen, deren Business-Modell und Arbeitsweise auf dem Remote-only-Modus basieren. Von denen gilt es, schnell zu lernen. Ich habe mit Nina Jonker-Völker gesprochen, sie ist Head of Marketing beim Start-Up Frontastic und verrät mir, welche Erfahrungen sie bisher mit New Work gemacht hat und was aus ihrer Sicht die Corona-Krise im Arbeitsleben der Zukunft verändern wird.

Nina, wie war die Umstellung auf Remote Work als du bei Frontastic eingestiegen bist?

Nina Jonker-Völker: Ich hatte zuvor bereits Teilerfahrung mit Remote Working, z.B. durch meine Arbeit im Außendienst, in internationalen Teams großer Konzerne, oder auch als Digital Nomad während meiner Weltreise. Mich allerdings in ein komplett digitales Team einzufügen, habe ich insbesondere in der Einarbeitung als Herausforderung empfunden. Ich musste mich zum Beispiel sehr daran gewöhnen, komplett in der Cloud zu arbeiten, alle normalen Office-Interaktionen bewusst zu virtualisieren, und nebenher mit einem ganz neuen Level an Transparenz zu arbeiten. Insgesamt habe ich etwa eine Woche gebraucht, um mich an den Remote-Native-Modus zu gewöhnen. Jetzt würde ich diese Flexibilität nicht mehr hergeben.

Wie tauschst du dich mit Kollegen aus, welche Rolle spielt die soziale Komponente?

Nina Jonker-Völker: Im "Normalen" tauschen wir uns asynchron über Slack aus. Wenn Themen, Diskussionen oder Herausforderungen über den Schriftweg nicht zu einer Lösung führen, wechseln wir in synchrone Kommunikation und nutzen Videokonferenzen. Wichtig ist dabei der Grundsatz "Video vor Audio". Wann immer es geht, sollte die Kamera an sein, denn Video transportiert so viel mehr Kommunikationsfacetten und führt dazu, dass wir uns auch in Distanz als Team verbunden fühlen. Du siehst, die soziale Komponente ist nicht zu unterschätzen! Ich würde sogar so weit gehen, dass der aktive Austausch mit Kollegen auf persönlicher, sozialer Ebene in Remote Native Firmen noch viel wichtiger ist als in Unternehmen mit physischen Büros. Soziale Kontakte sind letztlich doch das Schmiermittel, das Teams überdurchschnittlich erfolgreich macht.

Gibt es im Remote Modus so etwas wie Socialising? Wie sieht das aus? Gibt es z. B. gemeinsamen Mittagstisch über Videokonferenzen?

Nina Jonker-Völker: Ja, wir haben ganz bewusst Socialising-Momente in unseren Arbeitsalltag eingebaut. Dazu nutzen wir eine Anzahl von Tools, die uns dabei helfen, sich auch wirklich die Zeit zu nehmen, mit den Kollegen zu socialisen. Ein schönes Beispiel ist unser Virtual Coffee Klatch. Wir haben quasi den Small Talk an der Kaffeemaschine virtualisiert: Jeden Tag um 10.30h treffen sich alle Kollegen, die Lust und Zeit haben, in einer zentralen Videokonferenz und trinken gemeinsam Kaffee. Dabei versuchen wir soweit wie möglich, nicht parallel zu arbeiten, sondern uns wirklich aufeinander zu konzentrieren. Ein anderes Beispiel ist ein Chatbot, der uns zu bestimmten Zeit auffordert, persönliche Details mit unseren Kollegen zu teilen. Dinge wie "Was machst Du in Deiner Freizeit? Welche Bücher hast Du zuletzt gelesen? Welchen Sport betreibst Du? Was war am Wochenende bei Dir los?" Natürlich ist die Beantwortung der Fragen komplett freiwillig, die Antworten helfen uns aber, uns auch remote als Kollegen persönlich kennenzulernen.

Was ändert sich gerade durch die Corona-Pandemie in Bezug auf dein Homeoffice, insbesondere im Hinblick auf soziale Kontakte?

Nina Jonker-Völker: Tatsächlich sind wir wohl in der glücklichen Situation, dass sich unser Arbeitsalltag durch die Corona-Pandemie erstmal nur bedingt ändert. Als Remote-Only Unternehmen ist Home Office für uns der normale Arbeitsmodus. Trotzdem haben wir uns in Bezug auf Kunden- und Partnertermine und Hackathons natürlich erstmal dazu entschlossen, auch all diese Termine zu virtualisieren, um uns und unsere Familien zu schützen und zur Eindämmung des Virus beizutragen. Außerdem springen durch die Schließung von Schulen und Kindergärten während unserer Videokonferenzen ab und an mehr Kinder durch's Bild. Vor Corona haben wir uns außerdem regelmäßig einmal im Monat zum Co-Worken an einem Ort getroffen. Diese Termine haben wir bis auf Weiteres abgesagt und konzentrieren uns stattdessen mehr auf's virtuelle Co-Worken.

Denkst du, dass nach der Krise die Unternehmen offener sind für Konzepte wie Home-Office und Remote Work?

Nina Jonker-Völker: Ich glaube, dass uns die Krise bezüglich Home-Office zweierlei Entwicklungen bringen wird: Einerseits müssen viele Firmen, die den Auf- und Ausbau von Remote Infrastruktur bisher versäumt oder hintangestellt haben, jetzt sehr schnell nachziehen. Viele Unternehmen kommen darum jetzt auf uns zu und holen sich Tipps und Tricks, um schnell in einen guten Home-Office Modus zu finden. Diese Infrastruktur und die Erkenntnis, dass Home-Office ein völlig normaler, produktiver Zustand sein kann, werden hoffentlich nicht mehr weggehen.

Und wie schätzt du die Akzeptanz für neue Arbeitskonzepte in Zukunft ein?

Nina Jonker-Völker: Ich bin überzeugt davon, dass es Mitarbeitern in Zukunft einfacher gemacht wird, flexibel im Home-Office zu arbeiten, und dass die Kombination von Home-Office und Company-Office zukünftig reibungsloser funktionieren wird. Gleichzeitig denke ich auch, dass die erzwungene Isolation die Wertschätzung von Office Settings bei vielen Arbeitnehmern steigen lassen wird. Insofern glaube ich, dass nach der Krise Konzepte, die flexibles, ortsunabhängiges Arbeiten mit sozialem Austausch kombinieren, noch sehr viel wichtiger und erfolgreicher werden.

Vielen Dank, für den Erfahrungsaustausch, liebe Nina!

 

Weiterführende Links

Tipps von achtung!-Agenturchef Mirko Kaminski: 100 % Homeoffice – wie hält man alle beisammen? 

Kommentar von IT-Unternehmer Christian Meyer: Homeoffice - es geht nicht nur um Technik

Journalistin Simone Fasse: Warum dieses Homeoffice anders ist

Kostenloser Homeoffice-Guide von t3n zum Download: Produktiv arbeiten trotz Corona

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Designhalle Wetscher Max in Innsbruck

Möbelbranche in digitaler Aufbruchstimmung?

Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung PwC beschäftigt sich mit Strukturen, Trends und Herausforderungen der deutschen Möbelbranche. Demnach wird dem Online-Segment großes Wachstumspotenzial zugesprochen. Hersteller und Händler arbeiten fieberhaft an Digitalstrategien. Doch der Teufel steckt im Detail. Die Frage nach dem digitalen Geschäftsmodell ist mit vielen Grundsatzfragen, hohen Investitionen und unternehmerischem Wagnis verbunden. Wir haben die Erkenntnisse der Studie aufgegriffen und mit Beispielen aus der Praxis verglichen.

Die Möbelbranche stagniert. Die PwC-Studie prognostiziert zwar für die kommenden Jahre ein leichtes, stabiles Umsatzwachstum von 1,3 Prozent. Dies ist jedoch ein kleiner Kuchen, der auf viele Player verteilt werden muss. Der Wettbewerbsdruck ist hoch und preisgetrieben, daher rechnet es sich für viele Händler nicht mehr, große Verkaufsflächen und personalintensive Verkaufsberatung bereitzustellen. Immer wieder müssen Marktteilnehmer Insolvenz anmelden, so im letzten Jahr Händler wie Habitat oder große Herstellermarken wie Wellemöbel, Alno oder Flötotto.

Dr. Christian Wulff Möbelbranche
Studienautor Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter, PwC Deutschland

Allheilmittel Online für die Möbelbranche?

Im Gegensatz zum stationären Handel spricht die PwC-Studie dem Online-Segment ein großes Wachstumspotenzial zu. Bis zum Jahr 2023 soll der Onlineumsatz im Möbelhandel um jährlich 8,4 Prozent wachsen. „Derzeit konzentriert sich die Möbelbranche noch stark auf den stationären Handel, doch in diesem Bereich ist nur noch ein leichtes Umsatzwachstum möglich. Ein großes Wachstumspotenzial bietet dagegen der Vertriebsweg über Onlinekanäle, den viele Unternehmen derzeit noch unterschätzen“, so Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC Deutschland.

Dass der digitale Handel mit Möbeln sich aber nicht einfach umsetzen lässt, es hohe Investitionen und einen langen Atem bedarf, zeigt die aktuelle Situation der anfänglichen Hoffnungsträger für digitale Geschäftsmodelle im Möbelmarkt, Westwing und Home24.

Home24 schreibt rote Zahlen. Investitionen in Software und ein neues Warenlager in Halle haben den Online-Möbelversender im ersten Halbjahr belastet. Der operative Verlust stieg daher im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 9,5 Millionen Euro auf 23,4 Millionen Euro. Dennoch will Home24 bis zum Jahresende weiter operativ auf bereinigter Basis die Gewinnschwelle erreichen. 2020 will das Unternehmen dann profitabel sein, berichtet das manager-magazin.

Auch Online-Pure-Player Westwing kämpft seit dem Börsengang im Herbst 2018 erheblich. Begeisterte der Gründer und Vorstandschef Stefan Smalla auf der K5 im Mai in Berlin noch das Fachpublikum mit seinen Plänen, musste die Gewinnerwartung für das laufende Geschäftsjahr ständig nach unten korrigiert werden. Smalla führt dies auf gesteigerte Investitionen ins Marketing zurück. Aber auch er zeigt sich gegenüber dem Handelsblatt optimistisch und geht unbeirrt davon aus, dass sich die höheren Investitionen mittel- und langfristig positiv auswirken werden.

Was sind die Erfolgsfaktoren?

Die PwC-Studie identifiziert Meilensteine, die die Händler bei ihrer Online-Strategie berücksichtigen müssen. Dazu zählen aufwändige Zustell- und Rücksendeprozesse auf der einen Seite. Die letzte Meile ist bekanntlich das größte Hindernis im Online-Handel.

Auch wollen die Möbelkunden gern Produkte vor dem Kauf sehen und ausprobieren. Dazu gehören einfachere Umtauschprozesse und Investitionen in neue Technologien, wie Virtual Reality und Augmented Reality, mit denen die Kunden sich auch zu Hause ein Bild von den gewünschten Produkten machen können, so die Studie.

Malte Dous Möbelbranche
Dr. Malte Dous, Director EU Category Management bei Wayfair kennt sich aus mit Plattformgeschäft. Zuvor war er Marktplatzchef bei Zalando.

Technologien als Wegbereiter

Innovative Technologie scheint also der Weisheit letzter Schluss auf dem Weg zur Digitalstrategie. Wayfair, ein großer US-Marktplatz für die Kategorie Home und Living mischt seit 2016 den deutschen Markt auf. Dr. Malte Dous, Director EU Category Management bei Wayfair sieht die Plattform weniger als Branchenmarktplatz denn als Partner und „Enabler“ des Handels. „Wir sind ein Tech-Unternehmen mit weltweit rund 2.300 Ingenieuren und Datenwissenschaftlern. Wir haben die gesamte Customer Journey mit Software und Algorithmen abgebildet, davon können auch unsere Partner profitieren“, erklärt der Ex-Zalando-Marktplatzchef. Die Plattform funktioniere rein datenbasiert – könne also jederzeit KPIs identifizieren und am Markt entsprechend agieren.

Beispiel: „Schnelle Lieferzeiten sind bei Möbeln ein absoluter Umsatzbooster“, so Malte Dous. Entsprechend hat Wayfair seine Services in punkto Lager aufgestockt. Neben der direkten Warenabfertigung im eigenen Lager bietet der Marktplatz mit Castlegate auch einen Fulfilment-Dienst an, der in Kassel zentral Waren für Händler einlagert und damit Produkte schnell abrufbar sind.

Ähnliche Services werden Handelspartnern auch in Bereichen Content (Lifestyle Bilder mit 3D Rendering), Marketing (eigener Verkaufstag WayDay analog zum Black Friday), Logistik (eigenes Liefernetzwerk) und Verpackung (Umverpackungsservice) geboten.

Omnichannel – Erfolgsbeispiel aus Österreich

Die PwC-Studienautoren sprechen Omnichannel-Konzepten, d.h. stationären Ausstellungsflächen, die sinnvoll mit technologischen Neuerungen verknüpft sind, ein hohes Erfolgspotenzial zu. Ein Blick in unser Nachbarland Österreich zeigt das in einem eindrucksvollen Beispiel.

Österreich hat ähnlich wie Deutschland eine hohe Konzentration an Möbelhäusern. Der Markt wird dominiert von Ikea, Kika, Leiner und XXXLutz. Nur wenige Händler können in dem Wettbewerb noch mithalten. Einer davon ist das Planungs- und Einrichtungshaus Wetscher im beschaulichen Zillertal, das weit über die Grenzen Tirols einen Namen hat. „Hätten wir nicht den Mut, uns immer wieder neu zu erfinden, wir wären schon längst ausradiert auf der Landkarte der Möbelhäuser“, ist Unternehmer Martin Wetscher überzeugt.

Der Wohndesigner führt den heutigen Erfolg auf die unternehmerische Entscheidung in den 90er-Jahren zurück, sich auf die Tischlerei, Planung und nur noch die absoluten Top-Marken im Programm zu konzentrieren. Einen ähnlichen Transformationsschritt hat das Familienunternehmen nun wieder gewagt. „Ein Möbelhaus muss heutzutage mehr bieten als eine beheizte Verkaufsfläche“, so Martin Wetscher auf dem imm-Congress in Köln.

Designhalle für alle, digital und im Showroom: Junior- und Seniorchef Max und Martin Wetscher.

Sohn Maximilian, Unternehmer in fünfter Generation, startete im Juni 2018 einen neuen Concept Store mit seiner eigenen Brand „Wetscher Max“. In der „Designhalle für alle“ eröffnet sich dem Kunden eine Ausstellung mit drei Themenbereichen Natur, Modern und Loft. Im Online-Store unterstützt ein digitaler Einrichtungsberater seine Klientel.

Nach einem Jahr zieht der Unternehmersohn Bilanz. „Mit unserem Konzept haben wir das Beste aus beiden Welten verbunden. Denn das digitale und das reale Einkaufen sind heute längst zu einem Erlebnis verschmolzen. Und diese neue Welt wollten wir in einem neuartigen Handelskonzept konsequent abbilden und mit Leichtigkeit an unsere Kunden vermitteln“, erklärt Maximilian Wetscher gegenüber der Branchenfachzeitschrift möbelkultur.

Am Standort in Fügen konnte das traditionelle Familienunternehmen zuletzt eine Umsatzsteigerung von rund 30 Prozent verzeichnen. „Mit Wetscher Max haben wir junge Zielgruppen völlig neu für unsere Qualitätsmarke begeistert, aber auch traditionelle Kunden der Wetscher Wohngalerien für andere Perspektiven gewonnen. Von dieser Durchmischung profitieren alle.“ Jetzt wagt das Möbelhaus den Schritt in die Stadt und hat einen Concept Store auch in Innsbruck eröffnet.

Wo liegt die Zukunft der Möbelbranche?

Klar ist: Es gibt keine digitale Blaupause für die Möbelbranche. Es zeigt sich vielmehr, dass jedes Unternehmen seinen individuellen Ansatz fahren muss. Dies ist ein Prozess und die Schwierigkeit liegt vor allem darin, dass man dafür oft gelernte Strukturen und etablierte Prozesse innerhalb des Unternehmens infrage stellen muss. Digitaler Handel bedeutet nicht, seine Produkte online in einem Webshop in einer anderen Art eines Produktkatalogs feilzubieten. Es bedeutet, dass man mithilfe von digitalen Produkten und Services Mehrwerte für seine Kunden schafft.

Die PwC Studie gibt eine umfassende Analyse und zeigt Perspektiven auf, wo diese Mehrwerte liegen können. Der Lebensstil vieler Menschen in Deutschland verändert sich, beispielsweise steigt die Zahl der Ein-Personen-Haushalte, auch die Arbeit im Home Office setzt sich immer stärker durch. Das hat Einfluss auf den Möbelmarkt. Gebraucht werden stärker multifunktionale und flexible Möbel.

Auch der gesellschaftliche Trend zu einem nachhaltigen Leben hat Auswirkungen auf den Möbelmarkt. Insbesondere hochwertige Möbel, Handwerksprodukte und Systemmöbel werden in Deutschland verkauft. Das Umweltbewusstsein der Konsumenten ist gestiegen. Dafür sind sie auch bereit, mehr Geld auszugeben. Wie eine Befragung zeigt, spielt der Aspekt Nachhaltigkeit für 73 Prozent der Kunden beim Kauf von Möbeln eine wichtige Rolle. Dies könnte sich ebenfalls zu einem Erfolgsfaktor für die Kernkompetenz im Möbelhandel erweisen.

Quellen: Handelsblatt, manager-magazin, möbelkultur, falstaff.de

Weiterführende Links

Marktstudie Möbelbranche 2019 von PwC

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Hippokrates von Kos, hippokratischer Eid

Technologie und Moral:
Hippokratischer Eid für IT-Berufe?

Algorithmen steuern die Welt. Sie versprechen, das Leben sicherer und effizienter zu machen. Längst ist klar, dass digitale Technologien nicht nur ein Segen sind, sondern auch Gefahren mit sich bringen. Doch wie steht es um die Moral der Berufsspezies? Mathematiker, Informatiker und Computeringenieure sollten einen hippokratischen Eid ablegen, um die Öffentlichkeit vor den neuen Technologien zu schützen, die derzeit in Laboren und Technologiefirmen entwickelt werden. Das zumindest fordert Dr. Hannah Fry, Professorin für Mathematik am University College London. Ich bin ihrer These nachgegangen.

Mathematiker und Computeringenieure bauen Technologien, die die Zukunft der Gesellschaft gestalten. Besonders der Umgang sensibler Daten kann dabei weitreichende Auswirkungen haben. Konzepte zur Datenökonomik müssen daher wohlüberlegt implementiert werden. Doch wie steht es um die Moral in den IT-Berufen? Ist das Bewusstsein der sogenannten „Nerds“ dafür geschärft, welche Auswirkungen ihre Arbeit sowohl im positiven als auch negativen Sinne auf die Gesellschaft haben könnten? Sind sie sich ihrer Verantwortung überhaupt bewusst?

Hippokratischer Eid in Medizin und Forschung

Der Ruf nach einem hippokratischen Eid in der Forschung  ist nicht neu. Nach dem Vorbild der Mediziner sollen auch andere Wissenschaftler durch eine solche öffentliche Selbstverpflichtung an moralisches Handeln gebunden werden. Unterstützt wird diese Idee seit Jahrzehnten unter anderem von der Unesco, von zahlreichen Vertretern von Forschungsinstituten, Wissenschaftsverbänden und Ethikkomitees. Mediziner halten sich seit mehr als 2500 Jahren an den hippokratischen Eid, der als ethischer Kodex für ärztliches Handeln zwar nicht verbindlich ist, aber einen hohen Stellenwert genießt.

Durchgesetzt hat sich bis dato in der Forschung in dieser Richtung nichts. Kritiker zweifeln den Nutzen einer solchen weder kontrollierten noch durch irgendwelche Sanktionen untermauerten Selbstverpflichtung an. Zudem argumentieren sie, es sei schwer für Wissenschaftler zu schwören, nur für das Wohl der Menschheit zu arbeiten, wenn sie die Ergebnisse nicht vorhersagen könnten. Noch viel weniger könnten sie im Vorhinein wissen, was jemand anderer aus ihren Forschungsergebnissen macht.

Debatte neu entbrannt

Im Zuge der rasanten technologischen Entwicklungen im Bereich Machine Learning und Künstlicher Intelligenz nimmt die Diskussion um eine ethische Selbstverpflichtung in technischen Berufen erneut Fahrt auf. Mit Bots und gefälschten Nachrichten, die Wahlen beeinflussen sowie Algorithmen, die z.B. männliche, weiße Bewerber im Auswahlprozess eines Bewerbungsverfahrens vorziehen, erkennen wir mehr und mehr, dass datengestützte automatisierte Entscheidungssysteme für einige ungewollte gesellschaftliche Entwicklungen mitverantwortlich sind.

Geschlossene Systeme sind nicht die Realität

Allerdings ist es etwas anderes, Probleme in der realen Welt zu bedenken als in geschlossenen Systemen. Das weiß auch die 35-jährige Professorin: „Mathematiker, Computeringenieure und Physiker sind so an abstrakte Probleme gewöhnt, dass sie selten darüber nachdenken, ob die Anwendung ihrer Arbeit in der Praxis ethische Regeln verletzten könnte. Ein ethisches Versprechen dagegen, würde die Wissenschaftler verpflichten, gründlich über die mögliche Nutzung ihrer Arbeit nachzudenken und sie dazu zwingen, nur solche Ansätze zu verfolgen, die der Gesellschaft zumindest keinen Schaden zufügen, sagt Fry gegenüber The Guardian.

Hannah Fry ist Professorin für Mathematik am University College London und erforscht mithilfe mathematischer Modelle Muster menschlichen Verhaltens im städtischen Raum. Sie hat mit Verwaltungen, Polizei, Gesundheitsexperten und Supermarktketten zusammengearbeitet und an wissenschaftlichen Fernsehdokumentationen und Podcasts mitgewirkt. Die Zahl der Aufrufe ihrer TED-Talks geht in die Millionen.

So mahnt Fry, dass Forscher heute Systeme bauen, die persönliche Daten sammeln und verkaufen, menschliche Schwächen ausnutzen und Entscheidungen über Leben oder Tod treffen: „In den Technologieunternehmen dieser Welt finden wir heute meist sehr junge, sehr unerfahrene und oft weiße Männer. Sie wurden nie gebeten, darüber nachzudenken, wie sich die Lebensperspektiven anderer Menschen von ihren unterscheiden, und letztendlich sind dies die Menschen, die die Zukunft für uns alle gestalten."

Soziale und gesellschaftliche Anerkennung

Lisa Herzog, Philosophieprofessorin an der TU München und freie Autorin schreibt in ihrer ZEIT-Kolumne, dass sich derzeit gerade die IT-Berufe in den Dienst einer Logik stellen, die eher dem Kapital dient als der Gesellschaft als Ganzes. Sie sieht hier noch viel Entwicklungspotenzial: „Der erste, und wichtigste Schritt wäre, die professionelle Verantwortung von Informatikern und Softwareingenieuren anzuerkennen. Dies müsste im Selbstverständnis und vor allem auch in der Ausbildung entsprechenden Niederschlag finden, zum Beispiel durch verpflichtende Kurse über Ethik und gesellschaftliche Verantwortung in den entsprechenden Studiengängen.“ Die Sozialwissenschaftlerin kann sich die Einführung einer Art hippokratischen Eid für diese Berufe durchaus vorstellen. Sie plädiert dafür, diesen durch entsprechende Strukturen sozialer Anerkennung zu ergänzen, zum Beispiel durch Auszeichnungen für gemeinwohlorientierte IT-Lösungen.

Dieser Ansicht ist auch Thomas Matzner. Der Münchner Diplom-Informatiker und Berater für Systemanalyse beschäftigt sich seit langem mit ethischen Fragestellungen in der Informatik und hat dazu an der TU München eine Ringvorlesung gehalten. „Wir müssen die Ambivalenz digitaler Technologien anerkennen und mehr Verantwortung übernehmen“, sagt Matzner gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Aber nicht nur Informatiker seien in der Pflicht, sondern auch ihre Auftraggeber und die Nutzer. „Wir brauchen einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel“, sagt er und kann der Forderung nach einem Eid für technische Berufe etwas abgewinnen. „Wenn ein Elektriker einen Kunden hat, der die Isolierung nicht zahlen will, dann lehnt er den Auftrag eben ab. Genauso müssten es Informatiker machen, wenn zum Beispiel Sicherheitslücken in einer Software absehbar sind.“

Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar geht sogar noch einen Schritt weiter. Gegenüber der Wissenschaftsorganisation Helmoltz äußert er den Vorschlag, den hippokratischen Eid auch auf andere Disziplinen auszuweiten. „Ich glaube, man muss zum Beispiel dem Ingenieur, der bei einer Automobilfirma sitzt, ein Argument geben, das ihn stärkt, wenn er in eine zweifelhafte Situation gerät. Dann kann er sagen, ich habe während meines Studiums einen Eid abgelegt, deshalb stelle ich mein Know-how nicht für fragliche Entwicklungen, wie die Abgasmanipulation, zur Verfügung.“

Symbolik und öffentliche Aufmerksamkeit

Inwieweit sich tatsächlich ein hippokratischer Eid für technische Berufe einführen und umsetzen lässt, muss die Zukunft zeigen. Als Signal mit symbolischem Charakter kann ein solches Gelöbnisses aber sicher Denkweisen verändern.

Hannah Fry verleiht dem eine Stimme. Sie ist in erster Linie Wissenschaftlerin, die aber den öffentlichen Diskurs sucht. Mit ihren TED-Talks erreicht sie Millionen von Menschen. In ihrem aktuellen Buch „Hello World“ sorgt sie für Aufklärung und nimmt uns gleichzeitig die Ängste: „Noch nie waren Menschen so wichtig wie im Zeitalter der Algorithmen", so der Schlusssatz im Buch. Mit ihrem Engagement bringt sie die Debatte weiter. Sie schafft öffentliche Aufmerksamkeit, erweitert den Horizont und das Bewusstsein dafür, die Auswirkungen digitaler Technologien auf unsere Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Hier stehen wir alle in der Pflicht, nicht nur der Berufsstand der Computeringenieure und der „Nerds“.

Quellen: FAZ.de, ZEIT Online, The Guardian, Helmholtz.de

 

Weiterführende Links

Hannah Fry im Februar 2020 auf der OOP in München

Aktueller Hippokratischer Eid für Mediziner in Worten

 

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arseny-togulev

Tabakriese Philip Morris: Traumjob für einen digitalen Transformator

Zigarettenhersteller Philip Morris International möchte bis 2025 weltweit 40 Prozent seines Umsatzes mit risikoreduzierten Produkten erzielen. 40 Millionen Zigarettenraucher sollen von Alternativen überzeugt werden. Auf der OMR sprach ich mit CTO Michael Voegele. Auf seinem LinkedIn-Profil ist der Slogan „Designing a smoke-free future“ zu lesen. Ein heeres Ziel und ein Traumjob für einen digitalen Transformator, der Dinge bewegen will.

Michael Voegele, CTO PMI
Michael Voegele wechselte im Februar 2019 von Addidas zu Philipp Morris International

Michael Voegele arbeitete über acht Jahre bei der Sportmarke Adidas. Vor vier Monaten wechselte der Ingenieur zum Tabakriesen Philip Morris als CTO. Wie passt das zusammen? „Die Frage liegt jedem auf der Zunge“, schmunzelt er. „Das Unternehmen ist Marktführer im Bereich Zigaretten – und will in Zukunft keine Zigaretten mehr verkaufen, sondern Raucher von weniger schädlichen Alternativen überzeugen. Das ist echtes Change Management und diese Herausforderung hat mich gereizt.“

Weltweit fällt der Umsatz von Zigaretten um drei bis vier Prozent jährlich. In Deutschland hält sich der Umsatz bisher auf einem stabilen Level, obwohl die Zahl der Raucher deutlich zurückgeht. Das liegt an den steigenden Preisen und höheren Steuern für Zigaretten. Philip Morris setzt in der Transformation auf Produkte wie Iqos. Dabei handelt es sich um ein Gerät, das Tabak erhitzt und nicht verbrennt. Der Dampf, der dabei entsteht, soll weniger schädliche Stoffe enthalten als Zigarettenrauch, laut Unternehmen sogar 95 Prozent weniger als herkömmliche Zigaretten. Allerdings macht Iqos weiterhin süchtig, da nach wie vor Nikotin enthalten ist. Seit 2017 dreht sich bei Philipp Morris alles nur noch um den Iqos, das Marketingbudget für Marken wie Marlboro wurde auf Null gesetzt - obwohl der Umsatz des klassischen Zigarettengeschäfts recht stabil ist. Noch.

Wandel geprägt durch Vision

Den Grundstein für den Wandel legte CEO Andre Calantzopoulos 2016 mit seiner Vision. Er stellte sich vor die Mitarbeiter und sagte: „I hope one day we won’t sell cigarettes any more!“ Für die Mitarbeiter war das damals ein Schock, aber seither hat sich in den Köpfen viel getan. Für Voegele, der selbst erst seit kurzem an Bord ist, eine neue Erfahrung: „Man spürt den Kulturwandel standortunabhängig, das Unternehmen ist bereits mitten in der Transformation. Der Wille zur Veränderung ist da und man kann die Aufbruchsstimmung bei jedem einzelnen Mitarbeiter spüren. Denn jeder weiß: Es gibt keinen Plan B.“

Die zentrale Fragestellung bei der Transformation: Welche Alternative kann ein Tabakhersteller bieten, die das Gesundheitsrisiko von Rauchern minimiert? Michael Voegele ist angetreten, um das Unternehmen auf eine entsprechend neue technologische Plattform zu bringen, die die Vermarktung von risikominimierten Produkten wie den Iqos abbildet. Denn die Vermarktung eines elektronischen Produkts stellt ganz neue Anforderungen an interne Prozesse: Handling von Retouren, kaputte Geräte managen, Kundenservice – alles Prozesse, die das Unternehmen in den letzten zwei Jahren neu aufsetzen musste.

Holistischer Ansatz

Aber das ist nur der Anfang auf dem Weg zu einer rauchfreien Gesellschaft. Es geht um die Entwicklung neuer Produkte und Services. 400 Mediziner und Forscher arbeiten dafür im Headquarter in Lausanne. „Dabei stellt sich für uns die Kernfrage, welche gesundheitlichen und kommerziellen Benefits wir für unsere Community schaffen können. Daraus leiten wir dann Ideen für innovative Geschäftsmodelle ab.“ Voegele hält sich noch bedeckt, welche konkreten Maßnahmen in den nächsten zwölf Monaten geplant sind, verrät aber ein Beispiel: „In UK beispielsweise starten wir gerade ein Pilotprojekt. Wir haben eine spezielle Lebensversicherung für Raucher konzipiert, die zu unserem Produkt Iqos gewechselt sind.“

Voegele hat 20 Jahre Erfahrung in der IT-Industrie. Mit dieser Expertise will er nun den Technologie-Stack bei Philip Morris designen und entwickeln. „Die Transformation stellt ganz neue Anforderungen an die Supply Chain und Sales Prozesse. Nichts ist mehr so, wie es beim Vertrieb einer Zigarettenmarke einmal war. Jeden Tag fließen riesige Datenmengen an Feedback ins System und wir müssen daraus lernen, was der Kunde will.“ Dafür ist es extrem wichtig, als Unternehmen direkten Kontakt zu den Kunden zu haben – ein Umstand, der im „alten“ Philip Morris keine Rolle gespielt hat. Alte Vertriebswege wie z.B. Kooperationen mit Clubs funktionieren heute nicht mehr. In den nächsten Monaten steht bei Voegele Multichannel auf dem Plan: „Wir brauchen die digitalen Kanäle und deren Verknüpfung mit Retail Channels und den Iqos Flagship-Stores.“

Talente für den Wandel rekrutieren

Für seine Agenda muss Voegele digitale Expertise im Unternehmen aufbauen und digitale Talente rekrutieren. „Derzeit zeichnet sich der Trend ab, Standorte dort zu eröffnen, wo die Talent-Pools ausgebildet werden. In Osteuropa sind sehr gute Cyber Security Spezialisten zu finden, Spanien ist ein guter Markt für Entwickler und Programmierer, Griechenland hervorragend, wenn es um Data Scientists geht.“ Dennoch: Im „War for Talents“ kein leichtes Unterfangen für ein Unternehmen mit angekratztem Image. „Natürlich ist es einfacher für eine Sportmarke neue Leute zu gewinnen als für einen Tabakhersteller. Da ist Überzeugungsarbeit zu leisten“, so Voegele.

Im PMI Forschungs- und Entwicklungszentrum in Neuenburg bei Lausanne (CH) - eingeweiht im Jahr 2009 und auch bekannt als “the Cube“ – arbeiten über 400 Wissenschaftler und Entwickler.

Seine US-amerikanische Kollegin Marian Salzman, Kommunikationschefin bei Philip Morris, sieht er in einer Vorbildfunktion. Die PR-Pionierin kam als überzeugte Nichtraucherin zum Konzern, um an einer rauchfreien Zukunft mitzuarbeiten. Wer sich der Herausforderung einer radikalen digitalen Transformation stellen will, hat hier die Chance seines Lebens. Voegeles Wechsel von Adidas zu Philip Morris scheint der beste Beweis dafür zu sein.

 

Weiterführende Links

Studie über Digitale Transformation 2019

Recap OMR 2019

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K5 Masterclass Titel

Fashion als Botschafter für Werte

Was verstehen wir heute im digitalen Zeitalter unter unternehmerischer Wertschöpfung? Geht es wirklich nur noch um Gewinnmaximierung, Effizienz und Convenience? Um höher – schneller – weiter? Sind das wirklich die einzigen Werte, die wir durch Innovation und Technologie schaffen sollten? In unserer Masterclass auf der K5 2019 haben wir genau diese Fragen diskutiert. Und Denkanstöße aus der Fashionbranche erhalten, die zeigen, dass Nachhaltigkeitskonzepte nicht nur sehr vielfältig sein können sondern auch erheblich zur Wertschöpfung in unserer Gesellschaft beitragen.

Es war schon ein interessanter Anblick: Gefühlt ALLE weiblichen Teilnehmerinnen der gesamten K5 befanden sich in unserer Masterclass und sorgten für vollbesetzte Stuhlreihen – während in den fünf benachbarten Masterclasses die Männer die Hoheit hatten und über neue Wege im E-Commerce sprachen - allerdings aus einer gänzlich anderen Perspektive. Mit Mona Buckenmaier (RIANI), Julia Zirpel, (the wearness) sowie Vera Günther, (mimycri) sprachen wir über ihre persönlichen und unternehmerischen Erfahrungen zum Thema „nachhaltiger Wertschöpfung in der Fashionbranche“. Hier die Learnings und Denkanstöße für einen erweiterten Blick auf das Thema Wertschöpfung.

Nachhaltiger Umgang mit der Ressource Mensch

Mit einem geschätzten Wert von 55,6 Mrd. EUR ist die deutsche Textilwirtschaft die wertvollste in ganz Europa. Allerdings häufen sich in jüngster Zeit die Negativmeldungen: Alteingesessene Unternehmen wie Gerry Weber, Miller & Monroe oder Bree haben in den letzten Wochen Insolvenz anmelden müssen. Das deutsche Modelabel RIANI mit Sitz im schwäbischen Schorndorf ist wirtschaftlich gut aufgestellt. Einen wichtigen Erfolgsfaktor sieht Mona Buckenmaier, Senior Business Development Manager bei RIANI und Tochter des Gründerehepaares, in ihrem nachhaltigen Umgang mit der Ressource Mensch: „Wir investieren viel in unsere Mitarbeiter. Schließlich ist Schorndorf per se kein Fashion Hot Spot. Doch unsere Mitarbeiter kommen und bleiben gerne, weil wir Work Life Balance groß schreiben und einen sehr familiären Umgang pflegen, der viel Lebensqualität bietet.“

Erst 2015 wurde das neue, 10.000 qm große Headquarter eingeweiht und bietet heute neben modernen Arbeits- und Büroräumen eine chillige Dachterrasse und Platz für ein umfangreiches kostenfreies Sportprogramm, einen Day Spa & Beauty-Bereich und eine liebevoll „Cosy Kitchen“ genannte Betriebsküche, in der u.a. die Mütter der Mitarbeiter dreimal die Woche ein abwechslungsreiches Mittagsmenü für die Belegschaft zaubern.

„Nachhaltigkeit leben wir nicht nur in Bezug auf unsere Mitarbeiter. Auch unsere Produktion ist in Europa. Die Fertigung der Prototypen erfolgt in Schorndorf, die Konfektionierung in Ungarn,“ erläutert Mona Buckenmaier. Für RIANI macht sich der nachhaltige Umgang mit der Ressource Mensch bezahlt: „Bei uns gibt es viele Frauen mit Familie in Führungspositionen und wir sind stolz darauf. Beruf und Familie zu vereinbaren, ist manchmal eine Herausforderung, aber es geht. Es ist eine Frage der Wertschätzung, dies möglich zu machen.“

Fashion ohne schlechtes Gewissen: Mode im Einklang mit Werten

Einen anderen Zugang zum Thema Nachhaltigkeit in der Fashionbranche zeigte Julia Zirpel. Sie kennt die Branche aus dem ff und war als ehemalige Moderedakteurin viele Jahre selbst Teil eines sich immer schneller drehenden Modezirkels. „Mir fiel immer häufiger auf, dass Mode heutzutage zum

Wegwerfartikel verkommt: Beiläufig gekauft, achtlos in den Kleiderschrank gehängt und schnell wieder entsorgt“, bringt es Julia Zirpel auf den Punkt. Das Nutzungsverhalten der westlichen Welt steht dabei in keinem Verhältnis zu den schweren Arbeitsbedingungen und Umweltbelastungen, die für die Herstellung der Textilien in Kauf genommen werden. Julia Zirpel will einen Gesinnungswandel in der Gesellschaft forcieren und gründete 2017 the wearness – einen Online-Marketplace für nachhaltige, faire und hochwertige Mode und Beautyartikel.

Damit verknüpft sie hochwertige Mode und tolles Design mit fairen Produktionsbedingungen und Umweltbewusstsein. „Ich glaube an eine unternehmerische Verantwortung, die nicht an den Grenzen von Deutschland oder der EU aufhört. Menschenrechte und Umwelt müssen überall und gleichermaßen geachtet werden - und zwar in der gesamten Produktionskette.“ Julia Zirpel kooperiert daher nur mit Marken, die den strengen Verhaltens-Kodex von the wearness teilen. Zwei Ziele möchte sie damit erreichen: Eine ethisch unangreifbare Mode anbieten und das Bewusstsein für den Wert von Mode schärfen bzw. wiederherstellen. Für Julia Zirpel ist das eine Win-Win-Situation: „Mode ist vor allem auch ein Gefühl. Achtlos gekaufte Mode kann niemals ein Gefühl von Wert auslösen. Und darum geht es ja, wenn wir uns modisch kleiden!“

You are what you wear

Ein noch viel kompromissloseres Unternehmen hat Vera Günther mit dem Fashionlabel „mimycri“ gegründet. Das Berliner Sozialunternehmen stellt aus bereits existierenden Materialien gemeinsam mit Geflüchteten Mode her, zum Teil aus kaputten Flüchtlingsbooten. Damit wird Mode für sie zur Botschaft und der Träger oder die Trägerin zur/m Botschafter/in für Geschichte, Politik und Werte.

„Die Bewegung „You are what you eat“ aus dem Bereich Health Food möchten wir gerne in die Fashionwelt übertragen“, erläutert Vera Günther und hat mit diesem Ansatz schon viele Preise gewonnen. „Innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln, ist aus meiner Sicht die einzige Möglichkeit, in Zukunft unternehmerisch erfolgreich zu sein. Wir leben in einer Zeit, in der wir zu viel produzieren und konsumieren und dadurch nicht glücklich werden. Für die nachkommenden Generationen werden Werte immer wichtiger. Unternehmen sollten daher nicht nur Gewinnmaximierung im Fokus haben sondern Werte schaffen, die nicht ausschließlich finanzieller, sondern auch ökologischer und sozialer Natur sind. Diese Transformation sehe ich als große Chance und Möglichkeit.“

Impulse auf der K5, v.l.: Vera Günther, Julia Zirpel, Mona Buckenmaier mit Masterclass-Host und changelog-Autorin Vera Vaubel

Verwandte Themen auf changelog

Ethische Innovation: Werte sind das neue Bio

Fashion und Nachhaltigkeit

Weiterführende  Links

Das war die K5 2019

Analyse von Jochen Fuchs, t3n

Bericht von Esther Schwan auf onlinemarketing.de

Save the Date K5 2020: 26./27. Mai!


Copyright Thorsten Jochim

Digitale Arbeitswelt: Angst vor dem Umbruch?

Welche Veränderungen bringt die Digitalisierung in unsere Arbeitswelt? Diese Frage diskutiert Matthias Kamp, München-Korrespondent der WirtschaftsWoche, mit Siemens-Personalvorständin Janina Kugel und Unternehmerin Sabine Herold, Chefin des Hightech-Klebstoff-Herstellers Delo im WiWo-Clubgespräch. Es ist ein Ritt durch die Themenvielfalt Diversität, Automatisierung, Qualifikation, Weiterbildung, Führungsstil. Jedem Zuhörer im Literaturhaus in München wird klar, dass wir uns in unserer modernen, hochtechnisierten Welt mehr denn je hinterfragen müssen, ob wir offen für Neues sind und uns unseren Ängsten vor Veränderungen stellen müssen.

Der Einstieg in die Diskussion hätte nicht provokanter sein können. „Brauchen wir eine Frauenquote?“, fragt Matthias Kamp seine Gesprächspartnerinnen. Beide Unternehmerinnen wollen als Führungskraft keine Quotenfrauen sein. Janina Kugel kontert: „Es geht um die Gleichstellungsquote. Ich weiß nicht, ob wir sie wirklich brauchen, aber wir brauchen die Diskussion. Denn es gibt in den Vorständen deutscher Unternehmen mehr Michaels und Thomas als Frauen.“

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Rollenbilder sind in der Gesellschaft noch sehr stark eingefahren. Wir sind stark konditioniert, und das von klein auf. Was wir als Kinder zuhause vorgelebt und in Schulen erzählt bekommen, prägt enorm. Selbst heute noch werden zu sehr Rollenklischees vermittelt und Mädchen nicht ausreichend an vermeintliche Männerberufe herangeführt. Janina Kugel sieht hier einen großen Hebel, Veränderungen anzustoßen. „Wir müssen insbesondere die Mädchen motivieren, in die MINT-Berufe zu gehen. Abgesehen davon, dass sich hier viel größere Chancen auftun, weil wir diese Fachkräfte dringend brauchen, sind sie auch noch viel besser bezahlt als die klassischen Frauenberufe.“

Auf dem Arbeitsmarkt hat sich dank der technologischen Möglichkeiten viel getan: Teilzeitmodelle, Home-Office, Job-Sharing. Sabine Herold kann das bestätigen: „Wir als Mittelständler bieten unseren Mitarbeitern 42 verschiedene Teilzeitmodelle. Da steckt für HR sehr viel Arbeit dahinter.“ Es muss aber auch an anderer Stelle die Voraussetzungen für Flexibilität geschaffen werden, weiß Janina Kugel, Mutter von schulpflichtigen Zwillingen, aus eigener Erfahrung. „Es fehlt in Deutschland an einer gesicherten und flexiblen Betreuungsstruktur für Kinder, auf die sich beide Elternteile in ihrem Job verlassen können.“ Auch der Wiedereinstieg von Frauen ins Berufsleben wird angesprochen. Sabine Herold appelliert vor allem auch an Quereinsteiger und ermutigt weibliche Fachkräfte, die jahrelang wegen der Familie zuhause geblieben sind: „Diese Frauen haben ein kleines Familienunternehmen geführt. Natürlich sind sie für den Wiedereinstieg qualifiziert. Sie müssen es sich nur zutrauen und es wollen.“

Die Folgen der Automatisierung

Das Gefühl, abgehängt zu sein und das Nichtwissen über neue technologische Entwicklungen bei der Arbeit bleibt kein Phänomen derjenigen, die aus dem Beruf ausgestiegen sind. Vor dieser Herausforderung steht nun jeder Wissensarbeiter in unserer Dienstleistungsgesellschaft. Die Welle der Innovation durch Künstliche Intelligenz und Machine-Learning wird die Jobs in der Administration erfassen. Repetitiven Aufgaben wie zum Beispiel die von Sachbearbeitern oder Gutachtern werden in Zukunft durch Algorithmen gelöst. Bürojobs stehen auf der schwarzen Liste, es ist eine Frage der Zeit, wann sie obsolet werden.

Janina Kugel sieht hier sehr wohl die Unternehmen in der Pflicht, Pakete zu Weiterqualifikationen für betroffene Mitarbeiter zu schnüren. Sabine Herold pflichtet ihr bei, gibt jedoch zu bedenken, dass lediglich Großkonzerne und nur wenige wirklich sehr gut aufgestellte Mittelständler dazu die nötige Infrastruktur hätten. „Solche Angebote können kleinere und mittelständische Unternehmen vor allem in ländlichen Regionen nicht leisten. Der Weiterbildungsmarkt muss hierzulande noch stark entwickelt und auch gefördert werden.“

Angst und Skepsis überwinden

Voraussetzung ist, dass Mitarbeiter auch bereit sind, den Veränderungsprozess zu gehen. In dem Zusammenhang kommen beide auf Ängste zu sprechen. Allein zu akzeptieren, dass man im Job nicht mehr gebraucht wird, sei schon kaum zu ertragen. „Man stelle sich vor, man hat eine qualifizierte Ausbildung, zwanzig Jahre in einem Unternehmen erfolgreich gearbeitet und jetzt soll man nochmal die Schulbank drücken und sich Prüfungen unterziehen, um eine Weiterqualifikation zu absolvieren? Das ist nicht einfach“, erklärt Sabine Herold. Es muss in der Unternehmenskultur verankert sein, dass ein solcher Prozess ganz normal ist. Wichtig, dass mit diesen offen umgegangen wird und gemeinsam nach Lösungen sucht.

In diesen Fragen sind Führungskräfte mehr denn je gefordert. Das alte Führungsprinzip „command and control“ hat ausgedient. Gefragt sind Gestaltungsspielräume, Crowdsourcing, agile Prozesse, innovative Methoden der Mitarbeiterführung. Nicht jede Führungskraft kommt damit zurecht, oft kommen Zweifel auf. Janina Kugel zitiert eine Führungskraft aus dem Siemens-Konzern: „Ich habe Angst davor, die Kontrolle zu verlieren, wenn all meine Mitarbeiter agil und mit Scrum arbeiten.“

Beide Managerinnen sind davon überzeugt, dass sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen lässt. Sie appellieren an Gesprächsbereitschaft und offenen Diskurs eines jeden. Nur so lassen dich die Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt bewältigen.

Foto: Thorsten Jochim


Monokultur Gruppendenken 2018

Diversität als Ressource

Das Frauennetzwerk Media Women Connect und Medientage 2018. Emotionen kochen hoch, die Kluft kann kaum größer sein. Auf der einen Seite das Manifest der Media Women Connect, das u.a. eine Verpflichtung des Veranstalters für einen Anteil von  50 Prozent Frauen auf den Bühnen der Medientage im Jahr 2021 fordert. Auf der anderen Seite die These von Medientage-Chef Stefan Sutor, die Innovationspodien liebend gerne mit mehr Frauen besetzen zu wollen, wenn es denn Expertinnen in dem Bereich gäbe. Ein sachlicher Diskurs auf der Bühne kaum möglich. Prof. Dr. Isabell M. Welpe von der TU München nähert sich den Themen Diversität und Disruption aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive.

„Wie viele Manager und Risikokapitalgeber behaupten von sich, sie würden so gerne Frauen fördern und deren Geschäftsideen finanzieren, wenn sie nur welche fänden? Sie geben den Frauen die Schuld. Andersherum würde ein Schuh draus: Frauen wären als Gründerinnen und Führungspersönlichkeiten sichtbarer und viel erfolgreicher, wenn sie im gleichen Maße finanziert würden. Es ist ein hässlicher Kreislauf: Die eine Seite sagt, sie könne keine guten Frauen finden, die andere Seite sagt, die Anstrengung sei es nicht wert.“

So spricht jemand, die es am eigenen Leib erfahren hat. Vivian Ming, Tech-Unternehmerin aus den USA, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat und erfahren muss,  dass sie als Frau anders behandelt wird als seinerzeit als Mann. Isabell Welpe zitiert Vivian Ming in ihrer Keynote auf den Medientagen, um aufzuzeigen, in welchem Teufelskreis wir uns in der Diversitätsfrage befinden. Und das in einer Epoche des Fachkräftemangels, in der die deutsche Wirtschaft es sich eigentlich nicht leisten kann, auf den Impact und die personellen Ressourcen von Frauen in Führungspositionen zu verzichten.

Veränderung und Geschwindigkeit

Das alt bekannte lineare Wachstum wird im Informationszeitalter vom exponentiellen Wachstum abgelöst. Noch befinden wir uns in der Ära des Datensammelns. Erfolg werden diejenigen haben, die den größten Datensatz zum Trainieren von Künstlicher Intelligenz haben. Blockchain wird das Internet revolutionieren und das Netz demokratisieren. Wir stehen gerade erst am Anfang dieser Entwicklung. Nie war die die Chancen für neue Geschäftsmodelle so groß. Die Kehrseite der Medaille: Noch nie war das Risiko so groß, dass unternehmerisches Handeln in kürzester Zeit obsolet wird, da es von einem neuen Geschäftsmodell abgelöst wird.

Die Halbwertszeit eines Unternehmens betrug im Jahr 1984 noch 30 Jahre, heute liegt sie bei fünf Jahren, so die IBM Leadership Survey. Was das für Management und Führungskräfte bedeutet, bezeichnet Isabell Welpe als Wildwasserbahnfahrt. Führungskräfte müssen sich jeden Tag neu die Existenzfrage stellen. Charles Darwin wusste schon damals: Nur die Spezies wird überleben, die bereit ist, sich zu verändern. Heute muss man im wirtschaftlichen Kontext wohl noch den Zeitfaktor einkalkulieren. Nur diejenigen Unternehmen überleben, die sich am schnellsten den Veränderungen anpassen.

Männliche Monokultur in den Chefetagen

Isabell Welpe nennt Ansatzpunkte, wie Unternehmen sich den disruptiven Veränderungen stellen können. Es gilt, die Pain Points zu finden. Die liegen da, wo man angreifbar ist. Um das herauszufinden, muss man seine eigenen Schwachpunkte  erkennen. Hilfreich,  sein unternehmerisches Handeln jeden Tag aufs Neue zu hinterfragen. Das verlangt nicht nur Mut, sondern fordert unabhängige Denkweisen und andere Perspektiven. Dazu bedarf es Menschen, die anders denken, anders ticken als man selbst.

Wie sehen aber derzeit die Chefetagen der deutschen Wirtschaftsunternehmen aus?  Eine Studie der Albright Stiftung belegt, dass lediglich 12 Prozent der Vorstandsmitglieder der 30 Dax-Konzerne weiblich sind (Stand: April). Deutschland befinde sich damit auf einer Stufe wie Indien und die Türkei mit einem Frauenanteil von jeweils rund 10 Prozent in der Führungsetage. Nicht nur traditionelle deutsche Industrieunternehmen bleiben männerdominiert, auch vermeintlich hippe und moderne Arbeitgeber aus der Medien- und Digitalbranche wie Rocket Internet und Zalando setzen nicht auf Frauen in Führungspositionen.

In der Diversität liegt die Chance

Die männerdominierte Monokultur in deutschen Unternehmen hat eine vermeintlich einfache gesellschaftliche Ursache, so Isabell Welpe. Menschen, die sich ähnlich sind, sind sich sympathisch und bilden Interessensgruppen. Auch das Festhalten am Gewohnten bremst die Entwicklung des Frauenanteils in deutschen Konzernen. Zur Bewältigung der Aufgaben von Digitalisierung und disruptivem Wandel ist diese Monokultur jedoch kontraproduktiv.

Die Problematik: In Zeiten der Unsicherheiten und Veränderungen verfallen Menschen den gelernten Verhaltensmustern und denken in Stereotypen. Sie sind unbewusst voreingenommen und das führt unbeabsichtigt zu Diskriminierungen, die schwer greifbar sind. Stereotypen hindern daran, Kreativität und Proaktivität unabhängig von allen soziodemografischen Merkmalen zuzulassen. Wichtig aber wäre, die (Geschlechter)stereotypen  zu überwinden und  Diversität als Ressource frei zu setzen. Das kann nur durch einen gesellschaftspolitischen Diskurs und gemeinsame Maßnahmen Medien, Bildung. Wissenschaft und Wirtschaft erfolgen.

 

Weiterführende Links

Interview Vivian Ming in der FAZ

Manifest der Media Women Connect

Konferenz zu Unconscious Bias und Stereotypen an der Technischen Universität München.